Kajak ist bärig!

Oder: macht WW süchtig?

"Tadele nicht den Fluss, wenn du ins Wasser fällst." (indisches Sprichwort)

Mit fast 30 kam ich als Kanufahrer zum Kajak in weissen Wässern, zukünfig nur noch als WW bezeichnet. Ralf, der schon ein paar Fahrten mit Pongo & Paul nebst Kumpanen hinter sich hatte, schenkte Wolfgang zum 28. eine Kajakfahrt auf dem Rissbach, von der beide mir dann nur so vorschwärmten. Also wurde gleich für nächste Woche meine WW-Taufe eingeplant.
Nie werde ich meine erste Fahrt im Kajak auf der oberen Isar vergessen. Niemand hat mir richtig gezeigt wie ich das Paddel halten soll, wie ich vernünftig im Boot sitze oder sonst etwas. Ralf nahm Wolfgang und mich einfach so mit. Ich bin dann auch sehr schnell geschwommen. Aber auch das fand ich geil, ähnlich wie beim Tiefschneefahren, da fällt man ja auch öfter mal hin wie auf der Piste. Nach dem 5. Schwimmer war's mir dann jedoch zu blöd und ich schwamm an diesem Tag nicht mehr. Für mich ein ganz tolles Erlebnis.
Ein paar Tage später stand dann die 2. Fahrt an. Angesagt war die Brandenberger Ache. Unser Anhang erwartet uns am Abend auf dem Meissner-Haus unterhalb des Patcherkofels. Also liehen wir uns Kajaks nebst Ausrüstung aus, Leihgebühr eine Flasche Whisky. Die Kaiserklamm erschien Ralf dann doch zu schwer. Ich fand sie jedoch total schön und war dementsprechend stinkig! Also Einstieg am Pinegger. Bis zum Rifflkatarkt ging auch alles ganz gut. Dort hatte Ralf schon seine Probleme. Ich dachte mir jedoch gar nichts, wie denn auch. Also stieg ich ein und paddelte los. Mich wie geplant links zu halten war völlig unmöglich, das Kajak machte was es wollte, also rechts durch die Rinne. Da passierte es dann: Das Boot verklemmte sich. Ich wurde unter Wasser gezogen. Natürlich wollte ich an die Luft, also versuchte ich mich mit aller Gewalt mit dem rechten Arm aus dem Boot zu ziehen. Da packte mich das Wasser, riß mir den Arm aus der Schulter und zog mich aus dem Kajak. Ich merkte, dass ich den Helm verliere. Immer wieder krachte ich gegen den Felsen. Also drückte ich den rechten Arm fest an den Oberkörper, mit der linken Hand hielt ich den Helm. Endlich sah ich wieder Licht und es wurde ruhiger. Ralf half mir aus dem immer noch recht schäumenden Wasser. Ich schnaufte nach Luft und spuckte Wasser.
Das Paddel tauchte mehrere Minuten später aus dem Strudel wieder auf.
Mein rechter Arm war ausgekugelt (luxiert), ich hatte höllische Schmerzen. Recht mühsam schleppte ich mich zur Straße,.... Nach zig Fehlversuchen eines örtlichen Arztes den Arm wieder einzurenken, "bisserl an Schmerz mirsens scho aushoiten", gelangt dies endlich Stunden später einem Arzt im Krankenhaus zu Schwaz.
Gegen 20 Uhr packten wir den Aufstieg zum Meißner-Haus. Der schwere Rucksack, ich durfte ja damals schon Diethilds Klamotten etc. tragen, machte die Schmerzen auch nicht erträglicher. Gegen 22 Uhr waren wir endlich oben.

Nach diesem Erlebnis standen 2 Sachen fest:
1. ich muss irgendwo vernünftig Kajakfahren lernen.
2. dem Rifflkatarkt werde ich es zeigen!

Jeder normale Mensch wäre nach diesem Erlebnis nie mehr ins Kajak gestiegen, ich war aber damals schon infiziert vom Kajak-Virus, einer, wie ich heute weiss, unheilbaren Krankheit.

Ist Kajakfahren im WW gefährlich?
Für einen trainierten Menschen mit einem gesunden Überlebenstrieb sicherlich nicht gefährlicher wie Klettern oder andere 'Outdoorsportarten'. Ich denke, wie gefährlich WW allerdings werden kann, wissen auch viele guten Kajakfahrer nicht so recht.
Viele Kajakfahrer unterschätzen sicherlich die gigantische Kraft des Wassers. Viele von uns kennen Geschichten über sehr gute Paddler, die an/in Popelsituation ertrunken sind. Wie lange es dauert 'im WW zu lesen', wissen wir doch alle.
Seit ein paar Jahren wird jedoch einiges getan um auf Gefahren aufmerksam zu machen. Zwischen der Theorie und der Praxis liegen jedoch Welten.
Ich persönlich finde auch diverse Beiträge in den Medien recht gefährdent. Wenn man einen Video von Ausnahmefahrern sieht und denkt dies selber nachmachen zu können...
Ich bin auch ganz sicher, dass es bei einigen Kajakfahrern einen Herdentrieb gibt. In der Gruppe will keiner den Schwanz einziehen und meistert schwierige Passagen oft mit mehr Glück als Können und mit zittrigen Knien. Es soll ja sogar Extremfahrer geben, die nur unter Drogen bzw Alkohol fahren. Recht viel blöder gehts ja nimmer.

Neben den objektiven Gefahren, wie Gefälle, Wasserwucht etc. gibt es jedoch auch Gefahren, an die nur die wenigsten denken.
Meine Mutter hat mich vor einigen Jahren mal gefragt, ob es nicht gefährlich, sei wenn ich immer wieder mal alleine Kajak fahre. Ich erklärte ihr, dass ich alleine maximal WW III-IV fahren würde (damit konnte sie natürlich auch nichts anfangen) und dass ich mir, wenn's mir zu schwer würde, keinen Zacken aus der Krone breche die Fahrt zu beenden.
Ein paar Wochen später sitzen Ralf, Wolfgang und ich an einem wunderschönen Tag im Juni im Boot auf der Brandenberger. Ich wollte die Kaiserklamm fahren, die beiden anderen nicht. Also Einstieg nach der Klamm. Wir lassen die Boote so treiben und geniessen die Sonne. Ralf und Wolfgang sind weit vor mir, ich beginne wieder zu paddeln. Irgend etwas stimmt nicht! Ich habe Schmerzen auf der rechten Seite, Brust und Schulter. Endlich hole ich die beiden ein, sag: 'lass uns kurz mal aussteigen'. Wir landen an. Ich kann keine 3 Schritte gehen. Ich habe Seitenstechen, bin total kurzatmig, weiss gar nicht wie mir geschieht.
Im Kufsteiner Krankenhaus wird ein paar Stunden später ein spontaner Pneumothorax diagnostiziert. Was ist denn das? Luft im Brustkorb. Ich habe ein kleines Loch im rechten Lungenflügel, die Luft entweicht in den Brustkorb und der Lungenflügel bricht zusammen.
Ich bleibe eine Woche in Kufstein. Inzwischen habe ich 4 solche Vorfälle gehabt, 3 davon auf der Brandenberger. 2001 bin ich endoskopisch, 2002 an der offenen Lunge operiert worden. Jetzt kann ich nur hoffen, dass es nie mehr passiert.
Unfälle durch 'Fremdeinwirken' wie gebrochene Rippen, luxierte Schultern oä. sind ja noch verständlich, aber wer denkt denn schon daran, dass etwas in seinem 'gestählten Körper' versagen könnte? Wären wir damals die Kaiserklamm gefahren, ich weiss nicht, wie das ausgegangen wäre.

Wenn ich mal meinen Moralischen bekomme frage ich mich auch: was hab ich eigentlich daraus gelernt? Die Antwort ist: eigentlich nichts. Ich fahre nach wie vor Kajak, auch alleine und dies nicht nur bis WW-III. Bisher hatte ich immer Glück dass meine Unfälle, einige Luxationen, 3 Pneumothoraxe, nie passierten wenn ich alleine unterwegs war.

Kajakfahren ist also doch eine Sucht. Raucher wissen ja auch wie Raucherlungen ausschauen...